Sonntag, 11. September 2016

9/11 - 15 Jahre danach

Eine halbe Ewigkeit ist der Anschlag auf die beiden Türme, das Pentagon und vermutlich das Weiße Haus her. Geblieben ist vor allem die Erinnerung an NY, an die beiden Türme. Obwohl auch der Anschlag auf das Pentagon glückte und viele Menschen ihr Leben verloren, erinnern wir uns heute als Kollektiv fast ausschließlich an das WTC, an die qualmenden Glasriesen, aus denen kleine Gestalten herunterfielen und die schließlich in sich zusammen sackten.
Immerhin erinnern wir uns daran. Ich habe die Tage mal vorsichtig rumgefragt, wer sich denn an welche Anschläge erinnert. Nicht in meinem Freundeskreis, sondern lose Bekannte, Fremde mit denen man ins Gespräch kam.
Ergebnis war, Madrid und London sind, wenn überhaupt, vage Erinnerungsschemen. Charlie Hebdo ist bewusst und bekannt, wie auch der Novemberanschlag in Paris, aber vom jüdischen Supermarkt, vom Serienkiller Mohammed Merah, an Kopenhagen und Brüssel, an die russische Schule und viele andere sind die Erinnerungen schwach oder längst vergangen.
Erfurt und Winnende waren jenen, die ich fragte, eher ein Begriff, als die beiden Anschläge von Kopenhagen.

Wen wundert es? Damals schien die angemessene Reaktion, nicht den Islam, nicht die Muslime in die Verantwortung zu nehmen, sondern Diktatoren, einzelne Organisationen und Staaten. Der Krieg den Terror war de facto eine Aneinanderreihung von militärischen Aktionen ohne wirklichen Plan, was man unternehmen sollte. Wenn die Verantwortlichen tot seien, so würde sich die Sache erledigen, so scheinbar die Hoffnung. Oder wenn die Strukturen zerschlagen würden.

Zwei Denkfehler haben sich aber seither eingeschlichen. Der eine scheint den islamischen Terror vor 2001 komplett zu ignorieren, mitunter sogar 9/11 selbst. Die Radikaleren behaupten, dass wir durch unsere Kriege den Terror erst erschaffen hätten. Dies ist natürlich weltfremder, geschichtsvergessener Unsinn. Das WTC war vorher schon Ziel islamistischer Anschläge. Auf den Philippinen tobte bereits vorher der Kampf der Islamisten um bestimmte Teile des Landes in einen islamischen Staat umzuwandeln. Sunniten, Schiiten und eine Reihe von kleineren Richtungen wie den Salafisten / Wahabis bekämpfte sich und die nicht-muslimischen Minderheiten bereits vorher. Die Christenverfolgung im Iran begann eben nicht erst 2001. Die Sprengung der uralten und erhabenen Buddha-Statuen in Afghanistan geschah nicht als Reaktion auf den Krieg gegen den Terror - sie war Ausdruck der Haltung.
Der Autor der "Satanischen Verse", Salman Rushdie, lebte bereits lange Zeit unter Schutzbedingungen und versteckt  - lange bevor irgendwelche Zeichnungen für Furore sorgten. Der zum Islam konvertierte Cat Stevens, seitdem bekannt als Yusuf Islam, gab vor laufender Kamera damals zu, den Tötungsbefehl ernst zu nehmen und umzusetzen, sollte er dazu in die Lage versetzt werden.
Die Besetzung der Kaaba in Mekka durch Islamisten hat heute fast niemand mehr auf dem Schirm, obwohl es nahezu das einzige Mal war, dass Nichtmuslimen erlaubt wurde, einen Fuß in die Stadt zu setzen, seitdem sie als Zentrum des Islam benannt wurde.

All das und vieles mehr wird ignoriert, denn nur so funktioniert der pseudo-logische Aufbau.

Der zweite ist der Glaube, dass die heutigen Terroristen durch Verführer geblendet oder von ihrem Schicksal in diese Richtung getrieben seien. Es handele sich um Menschen ohne Perspektive, ohne Chance, nicht in der Lage zu lesen und einer völlig falschen Darstellung ihrer Religion aufgesessen.
Eine Auseinandersetzung über diesen Punkt durfte es lange Zeit nicht geben. Nicht von unserer Öffentlichkeit, von unseren Medien und unseren Politikern aus. Wer es dennoch wagte, wie Theo van Gogh, wurde von den Besagten zur persona non grata erklärt und von Islamisten bedroht oder gar ermordet.

15 Jahre nach den Anschlägen, welche die Welt live im Fernsehn mitverfolgte, hat es noch immer keine Massenbewegung gegeben, welche pauschal Muslime verfolgte und ihnen schadete. Die muslimischen Verbände und Gemeinden stehen vielmehr besser da, als je zuvor in Europa und Nordamerika. Zwei Kriege im Orient haben uns Leben gekostet, unseren Ideologen massiv Material zur Untermalung ihrer Positionen gegeben, zahllose Soldaten, Aufbauhelfer und zivile Mitarbeiter traumatisiert und vielen unschuldigen Zivilisten in ein unverdientes Grab gebracht, anderen falsche Hoffnung auf ein freieres und besseres Leben bereitet und nicht wenige den Extremisten ausgeliefert.

Dafür sind wir weiter in Sachen Zensur, Selbsthass und der Dekonstruktion unserer Gesellschaft, Kultur und Geschichte. Was nicht ins Narrativ passt, wird verdrängt oder ignoriert. Verzweifelt wird gesucht, um eine heile Welt darstellen zu können oder die Ursachen der Probleme wenigstens mehr auf Armut und Industrie zu schieben, als auf die Individuen und ihre gewählten Ideologien und Religionen.
Dabei kommen die Einschläge immer nähe. Viele hundert Europäer und tausende US Bürger sind bereits direkte Opfer des islamischen Terrors geworden, zehntausende haben sich von einer kritischen Auseinandersetzung abhalten lassen oder streiten sogar dafür, diese zu verbieten.


Der Gedenktag wäre eine Gelegenheit gewesen, die eigene Handlungsweise nicht nur in eine Richtung kritisch zu betrachten, nicht nur die Kriege die zu Hinterfragen. Auch die errichteten Tabus, das mangelnde Selbstbild auf beiden Seiten hätte man ansprechen sollen. Jüngste Themen, wie die undemokratische Haltung in den USA wie in Europa wären nicht unmittelbar, aber in Folgeveranstaltungen drängend zu diskutieren.

Statt dessen bleibt ein höchst zweifelhaftes, weil politisch korrektes und übersensibilisiertes Gedenken an Opfer, die dank Obama nicht mehr "ermordet" wurden, sondern einer "menschlichen Tragödie" zum Opfer fielen. Als wären die Flugzeuge Lawinen gewesen oder ein unbemerkter Eisberg.
Ich nehme niemandem das Gedenken ab, der nicht klar dazu stehen kann, dass die Opfer durch islamische Terroristen ermordet wurden, die gebildet, gut qualifiziert und intelligent waren, die eine Perspektive durch unsere Gesellschaften bekamen, sie aber zugunsten einer Handlungsweise wegwarfen, die nicht nur tausende Menschen umbrachte, sondern auch historisch wie religiös verwurzelt und durch Beispiele angetrieben ist.
Wer das nicht eingestehen kann, der sucht Entschuldigungen für Massenmörder. Der macht sich in gewissem Sinne an den unveränderten Folgen mitschuldig. Und genau da stehen wir jetzt, wie wir nach Nizza erleben durften. Ganz offen wurde entschuldigt und relativiert, was von Anfang an glasklar war. Durch Zeugen belegt. Durch die Logik regelrecht ins Auge gestochen. Durch die Umstände und die Bekenntnisse in Neonfarben an den Himmel geschrieben.
Am Ende mit "Verständnis" von mancher Seite bedacht, mit Lob von anderer, unverfolgter.

Im November hatte Europa, hatte Frankreich sein drittes "9/11". Nach den Bomben von London und Madrid, war dies der dritte wirklich große Anschlag, dessen Opferzahlen die Erfassung der Individuen nicht mehr möglich machten.
Zählt man noch die Brüsseler Flughafenbombe und Nizza dazu, dann sind es schon vier und fünf. Ansbach ging nur aufgrund der stümperhaften Vorgehensweise des Täters nicht viel schlimmer aus.

Und noch immer verharren wir darauf, nicht alles auf den Tisch zu bringen, keine Gemeinschaft in die Verantwortung zu nehmen, obwohl aus ihrer Mitte diese Taten erwachsen, um einer möglichen Überreaktion, Pogromen nicht vorschub zu leisten.
Dabei hätte es diese, wenn sie so naheliegend wären, schon gegeben. Mit oder ohne Tabus. Je länger aber Leben geopfert und Meinungen zum Schweigen gebracht werden, desto mehr Frust und Wut baut sich auf. Daraus erwächst der Zorn und der Hass, der nötig ist, um das besagte Szenario trotz all unserer historischen Lehren, unserer Erziehung und Geisteshaltung, unserer Werte und Menschlichkeit doch noch zu ermöglichen.
Dieser Tag sollte deutlich signalisieren: Samthandschuhe haben ebensowenig funktioniert, wie jener der Fehde. Suchen wir etwas anderes, dass passt. Und zwar schnell.

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