Freitag, 18. Dezember 2015

Sprache dient der Informationsvermittlung - Journalisten auch?

Was Sprache und Journalisten gemein haben geht aber noch weiter. So können Sie verwirren, Emotionen den Vorrang geben und manipulativ sein.
Besonders auffällig wird dies immer, wenn eine Agenda zur Debatte steht. Da es bei mir in den Wochen nach Weihnachten weiter um Schusswaffenbesitz und der damit verbundenen Kritik gehen soll, bleibe ich mal bei diesem Thema.
Schauen Sie einmal nach, wie viele Zeitungen das Narrativ, die fiktive Erzählung der "gun violence" der "Waffengewalt" aufgenommen haben, als die ersten Toten von San Bernardino, Kalifornien vermeldet wurden. Obwohl keine Informationen zum Hintergrund vorlagen - oder besser, die vorhandenen Informationen wie Herkunft der Täter, massive Bewaffnung, Gruppe der Opfer etc. wurden unter die Vorgabe "nicht vorschnell jemanden zu beschuldigen" gestellt. Das gleichzeitig die Diskussion losging, in welcher Schusswaffenbesitzer, welche legal ihre Waffen erworben hatten und besaßen dafür "vorschnell beschuldigt" wurden, interessierte da hingegen keinen.
Und um es noch eindeutiger zu machen, wurde die Wortwahl angepasst. Da war von keinem Anschlag die Rede, keinem Attentat sondern von einer Schießerei. Ähnliches sind wir bereits aus den Alltagsmeldungen unserer Presse gewohnt. So hieß es vor Monaten, als ein Jugendlicher in einer S Bahn von einer Gruppe anderer "Jugendlicher" attackiert und seine sich schützend über ihn werfende Freundin dabei einen Bruch an der Hand davontrug, dass es sich hier um eine "Prügelei bzw. Schlägerei" handelte.

Dabei impliziert unsere Sprache bei dieser Wortwahl, dass es sich um einen andauernden Wechsel handelt - also um einen Schusswechsel oder Schlagabtausch über wenigstens eine bestimmte, wenn auch nicht eindeutig definierte Zeit. Essentiell zur Erfüllung dieser Definition wäre also die Beidseitigkeit. So wie "in Einvernehmen" die Zustimmung aller Beteiligten braucht, so Bedarf eine Schießerei wie Prügelei der Teilnahme der anderen Involvierten, wenigstens eines Teiles einer Partei. Soll heißen: wenn geschossen wird, dann von beiden Seiten. Wird aufeinander eingeschlagen, dann von beiden Seiten.
Und selbst wenn beide Seiten aktiv wurden, können die Worte einen falschen Eindruck vermitteln. Wenn auf einen jungen Menschen eingeschlagen wird, womöglich noch von mehreren, und dieser beginnt sich zu wehren - so ist das keine "Schlägerei", keine "Keilerei" und keine "Prügelei". Dabei handelt es sich um einen Angriff und Notwehr. Das gleiche gilt bei Schusswechseln - die als solche zu bezeichnen sind und auf die Notwehr verwiesen werden sollte, wenn es sich um einen Angriff, Mordversuch oder ähnliches handelte. Ich lasse es mir höchstens gefallen, wenn Kriminelle oder Gewaltbereite Menschen aufeinander losgehen, bspw. um einen Platz zum Dealen zu übernehmen oder wenn Hooligans sich verabreden um aufeinander loszugehen. Wenn sich aus einem Wortwechsel mit wechselseitigen Beleidigungen ein Handgemenge und schließlich eben eine "Schlägerei" entwickelt - dann ist die Wortwahl korrekt. Aber nicht, wenn Menschen in einem Moment am Esstisch plaudern und im nächsten ihr Kopf von hereinstürmenden Schlägern auf die Tischplatte geknallt wird.
Wir haben viele Worte, um solche Situationen zu beschreiben, mit vielen Nuancen. In der Germanistik wird die Bedeutung von Worten, Texten und Fragmenten als Semantik bezeichnet. Journalisten lernen dies während des Studiums kennen und zahllose Artikel belegen, dass Wortwahl auch in diesem Beruf ein Thema ist. Das dann Blätter wie die BILD sich mit reißerischen Überschriften und platten Artikeln längst jenseits neutraler Berichterstattung und bewusst weit im Meinungsschaffendenmilieu bewegt ist bekannt oder leicht zu erkennen.

Zurück zum Beispiel.
Als in der "gun free zone" des Regionalzentrums von San Bernardino die Attentäter mit ihren Schusswaffen und Bomben begannen auf Menschen zu schießen, müsste jemand zurückgeschossen haben, um die Definition von Schießerei zu erfüllen. Das ist aber nicht der Fall.
Womit auch. Nicht nur, das es sich um eine "gun free zone" handelte, also ein Ort an dem auch lizensierte Waffenträger ihre Pistolen und Revolver vorher abgelegt haben müssen, um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen. Es geschah in Kalifornien, einem der US Bundesstaaten mit den strengeren Richtlinien und Gesetzen, die durchaus mit europäischen vergleichbar sind. Und oben drauf kommt, dass, entgegen dem Eindruck, den unsere Medien durch Zahlenspielerei betreiben die Mehrheit der US Bürger eben doch keine legalen Schusswaffen besitzt. Die ca. 310 Millionen legalen Schusswaffen in den USA verteilen sich auf unter 30% der Haushalte - also sind 70% der US Haushalte ohne solche Geräte. Da ein Haushalt zwischen einer und theoretisch unendlich, praktisch 8 bis 10 Personen umfassen kann, reduziert sich die Zahl der wirklichen Waffenbesitzer erneut.
Die Wahrscheinlichkeit auf bewaffneten Widerstand durch die Anwesenden zu stoßen war also in St. Bernardino ebenso gering wie in Paris, Kopenhagen oder Toulouse.

Damit war der Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine Schießerei handelte so gut wie null. Trotzdem wurde weiter, da es sich um die USA handelte, mittels Wort- und Themenwahl der Artikel auf die Schusswaffendichte und die Verbreitung von Morden durch Schusswaffen verwiesen. Da ging es längst nicht mehr um Fakten und Berichterstattung - sondern um Meinung und Haltung.

Medien, die nicht nur gerne mal Informationen oder Ereignisse unberichtet lassen, sondern auch in der Wortwahl zu einer eindeutigen Haltung tendieren UND darüber hinaus Bildmaterial manipulieren, wie es bspw. vor Wochen zugegeben wurde sind nicht glaubwürdig.
Warum also eine so große Zahl Bürger in der jüngsten Umfrage ihnen noch glauben schenkt oder immerhin eine gewisse Glaubwürdigkeit attestiert - mir ist das unbegreiflich. Wenn immer wieder gewarnt wird vor der Wiederholung bestimmter Geschichtsabschnitte, so frage ich mich schon, warum die Rolle der Medien dabei so unbeachtet bleibt. Egal ob Weimarer Republik, NaziZeit, DDR und SU, Volksrepublik China oder Nordkorea - überall ist die Rolle der Medien eindeutig und bedeutsam.
In unserem Land aber, wo mancher auf jedes Wort achten muss, damit es nicht gegen ihn verwendet wird, wo über Personalpronomen leidenschaftlich diskutiert wird, da stört es scheinbar niemand, wenn die Medien Worte benutzten, die Opfern erstmal eine Mitschuld oder gar gleich die Verantwortung in Schuhe schieben.

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