Dienstag, 29. Oktober 2013

Deschner zum Letzten: Fortsetzung III und Ende von "Jetzt ist es raus"

Beginn der Serie.

Erste Fortsetzung.

Zweite Fortsetzung.

Wider erwarten konnte ich aus Gründen der Lesbarkeit eine exemplarische Untersuchung eines Teiles der "Kriminalgeschichte des Christentums" nicht mehr vollständig in der zweiten Fortsetzung unterbringen. So folgt hiermit der dritte und letzte Teil dieser Serie.
Diesmal beschäftige ich mich mit einem Teil des 9. Kapitels, welches den Titel trägt: "Die Anfänge des langen christlichen Hexenwahns", im 8. Band der Reihe aus dem Jahr 2006. Das Thema lag nahe, da dies wohl eine der populärsten Anklagen gegen das Christentum im Allgemeinen und die katholische Kirche im Speziellen darstellt. Gleichzeitig ist es eines der Themen, in welchem sich öffentliche bzw. verbreitete Meinung und Forschung ziemlich weit voneinander entfernt haben.


Wie auch bei der Auswertung rund um die angebliche Widerlegung der Kritik an Deschner durch Fachkreise werde ich auch diesmal nicht alles und jedes Argument behandeln. Nach wie vor geht es nicht darum, allen Aussagen und Auflistungen Deschners zu widersprechen sondern handwerkliche Fehler, fehlerhafte oder unvollständige Schlüsse und falsche Darstellungen exemplarisch aufzuzeigen um den Mythos, Deschner sei unwiderlegt und alles was er schreibe sei richtig zu zerstören sowie auf der anderen Seite seiner eigenen Forderung nachzukommen, auch nur einen Punkt zu benennen, in dem er fehle. Letzteres ist zwar mittlerweile schon mehrfach ausreichend geschehen, aber vielleicht bekommt der ein oder andere Leser nun etwas in die Hand.
Dieses Mal werde ich jedoch thematisch und darin chronologisch einigen Behauptungen nachgehen, die sich allerdings auch auf mehrere Seiten in der "Kriminalgeschichte" beziehen können. Damit hoffe ich zum einen Umfang zum anderen Lesbarkeit auf einem nutzbaren Niveau zu halten und den "Kernaussagen" Deschners nachvollziehbar zu folgen.
Diese verknappt wiedergegeben lauten:
1. Hexen vor dem Christentum wurden kaum verfolgt und wenn, dann "oft nur" jene denen man schädliche Magie nachsagte.
2. Obwohl er davon spricht, dass jenes frühe Christentum keine schweren Strafen für Magie kannte und erst am Ende des Mittelalters seine Position regelrecht umkehrte, erklärt er gleichzeitig eine Verfolgungssituation seit dem Frühmittelalter durch die Kirche aber auch bestimmte Gruppierungen und beschuldigt bereits Konstantin als ersten Verfolger.
3. Er bezeichnet "die weisen Frauen" als "fast einzige Zielgruppe der Pogrome".
4. Hauptschuldiger, Initiator  und Koordinator sei die katholische Kirche mit ihrer Sexualmoral und der dahinterstehenden Raffsucht.


Zu 1. Hexen und Zaubernde wurden vor dem Christentum kaum verfolgt, wenn dann oft nur jene denen man schädliche Magie nachsagte.

„Nicht selten unterschied man – allerdings kaum im mittelalterlichen und späteren Christentum - zwischen <<weißer>> und <<schwarzer>> Magie, je nachdem man ihr positive oder negative Wirkungen zuschrieb, dem Menschen nützliche oder schädliche Kräfte.“
Kriminalgeschichte des Christentums, Bnd. 8, S.299.
Dieser nicht weiter belegten Behauptung lässt Deschner eine Liste der "nützlichen" magischen Kräfte Folgen, darunter Wahrsagen, Wetterzauber, Astrologie, Heilkunst u.ä.
Es lohnt sich daher einen Blick über die christlichen Jahrhunderte hinaus zu werfen. Als einer der ältesten erhaltenen Gesetzestexte gilt wohl der Codex Hammurabi aus dem 18. Jh.v.Chr. Bereits in diesem findet sich dann Bezug zur Bestrafung von Magie, und zwar an ausgesprochen Prominenter Stelle. Unter §2 findet sich Folgendes:
Wenn ein Bürger einem Bürger Zauberei vorgeworfen hat, ihn aber nicht überführt, so geht der, dem Zauberei vorgeworfen ist, zur Flussgottheit, taucht in den Fluss hinein, und wenn der Fluss ihn erlangt, so erhält, der ihn bezichtigt hat, sein Haus; wenn der Fluss diesen Bürger für frei von Schuld erachtet und er heil davonkommt, so wird der, der ihm Zauberei vorgeworfen hat, getötet, der der in den Fluß hinabgetaucht ist, erhält das Haus dessen, der ihn bezichtigt hat.
Codex Hammurabi, §2, Übers. von Wlhelm Eilers, 1932.
Eine modernere Übersetzung findet sich hier, allerdings ist der Inhalt gleichbleibend. Hier wird also nicht nur nicht unterschieden um welche Art "Zauberei" es sich handelt, es sollte zudem die Methode angewandt werden, die heute so oft und zu Recht mit kopfschüttelndem Unverständnis als "Wasserprobe" bezeichnet wird.
Vereinfacht gesagt besteht zu jener Zeit bereits ein Widerspruch zwischen Religion und Magie. Die Philosphie hinter altorientalischer bzw. ägyptischer Religion geht von einem Gestaltungswillen und eben dieser -macht der damals verehrten Götter aus. Das Verständnis damaliger Magie / Zauberei ging aber von einer Vernetzung, einer allgegenwärtigen Verbindung aus, bestehend aus Kosmos, Menschen, Göttern und Dämonen.
Daraus resultiert zwar eine im allgemeinen friedliche Koexistenz die sich aber durchaus bei einem Verdacht oder unerklärbaren Ereignis in rechtlicher Verfolgung wie außerrechtlichen Maßnahmen niederschlagen kann. Die Angst vor den Verstorbenen, die unversorgt die Lebenden tyrannisieren oder unverheirateten jungen Frauen, die einmal verstorben als succuba wiederkehren ist gut belegt.
Als Gegenmaßnahme ist bspw. das "Maqlû" bekannt, eine weitere Beschwörung um die Person zu identifizieren, die Schadenszauber wirkte - und diese zu verfolgen. Das Deschner dies, de facto ja  mit denen der neuzeitlichen Pogrome identische Verhalten regelrecht leugnet spricht Bände.
Die Darstellung von Magie in der griechischen Literatur stellt sich keineswegs als eine differenzierte heraus. Magiewirkende können dort zwar auch positive Effekte bewirken, das hält jedoch keinen dieser Protagonisten davon ab seine Macht auch schädlich einzusetzen. Und so schlägt sich zwar auch hier im Gesetz vor allem der Schaden als zu bestrafendes Element der Magie im Gesetz nieder, Mißtrauen und Übergriffe werden dadurch jedoch nicht gebannt. Zumal wir von mehreren Asebie-Prozessen wissen, als rechtlicher Verfolgung des "Frevels an den Göttern". Gleichzeitig ist der Begriff mageia bis zur lateinischen Zeit doppelt belegt und wird oft auch für Priester bzw. deren Akte genutzt. So wundert es nicht, dass die griechischen "defixiones" oder "Fluchtäfelchen" die zum Wirken oft genutzt wurden, i.d.R. Bezug nehmen zu Göttern der Unterwelt aus dem griechischen und ägyptischen Fundus.
Belegt ist in jedem Fall aus dem Jahre 470 v.Chr. in Telos das Verbot gegen Staat oder einen Privatmann, gemeint ist damit der freie, männliche Bürger, Zauberei anzuwenden - ohne Unterscheidung zu welchem Zweck.
Auch kennen wir die Anklage der pharmakeía sollte jemand durch einen "Zaubertrank" zu Schaden oder gar zu Tode kommen, gleich ob dieser nun als weiße oder schwarze magie klassifiziert würde.
Das römische Zwölftafelgesetz unterscheidet entgegen verbreiteter Behauptungen ebenfalls nicht verschiedene Formen der Magie. Dort finden sich die Begriffe "malum carmen incantassit" und "excantassit". Diese Wortwahl lässt ursprünglich eher auf Eigentumsdelikte schließen als auf einen dezidierten Magieglauben. Erst im Laufe der Zeit wird aus diesem "besingen" ein Glaube an eine Art magisches Ritual.
Es ist dann schließlich Sulla der mit seinem Gesetz lex cornelia de sicariis et veneficis direkten Bezug auf Zauberei nimmt und zumindest schädliche Ausübung unter Strafe stellt. Hieraus eine allgemeine Akzeptanz von "nicht schädlicher" Magie abzuleiten ist jedoch ein Trugschluss. Das römische Recht ist nicht umfassend oder durchgehend geregelt. Es versteht sich als Maßnahme gegen Schaden - kann sich also gar nicht auf nicht schädliche Magie beziehen.
Bereits 80 Jahre später unternimmt Augustus aber Schritte genau in diese Richtung. In seine Zeit fällt eine stärker werdende Differenzierung zwischen Religion und Magie. Es ist sein ergebener Agrippa, der 33. v. Chr. Astrologen und Hexer aus Rom verbannt - unter Androhung schwerer Strafe. Vermehrt werden Wahrsager verbannt oder hingerichtet, Prozesse enthalten immer öfter die Anklage devotio - ursprünglich die Selbst- oder Fremdweihung "auf den Tod", dann auch die gelobte Aufopferung für den Kaiser aber eben auch die "Verhexung" anderer.
Dabei ist die juristische Verfolgung eher zweifelhafter natur, wie die skeptischen Worte bspw. Ciceros belegen. Seine Wirkung auf das Publikum verfehlte diese Anklage jedoch nicht - und auch hier ist eine Parallele zur Neuzeit zu sehen. Die aktuellen Zahlen der von Deschner als im Verfolgungswahn gegeißelten Inquisition belegen einen eher kleine prozentualen Teil an Schuldsprüchen bzw. schweren Strafen.
Das Standardnachschlagewerk der Althistoriker, Der Neue Pauly (DNP) lässt dazu folgenden Satz im Artikel zur Magie lesen:
M. läßt  sich vorher eigentlich nur als Straftatbestand in anderen Kontexten fassen.
DNP, Bnd. 7, 669.

Gleichzeitig gehörten Praktiken wie auspicia (Vogelschau) oder das Lesen in Eingeweiden durch haruspices zu den üblichen staatlichen Riten, teilweise sogar als notwendig erachtete Handlungen.
Aus diesen Betrachtungen bleibt nur festzustellen, dass es sich bei der Anklage, dass Christentum unterscheide nicht um eine mehrfache Verallgemeinerung handelt. Nicht nur, dass auch vor und nach dem Christentum Kulturen, Teile davon, Einzelpersonen oder Gruppen ebensowenig differenzierten. Verfolgung und Bestrafung völlig Unschuldiger wie sich selbst als magieausübende Darstellende finden sich somit auch in der Zeit vor dem Christentum. Inwiefern sich die Zahlen hier unterscheiden von dem, was in der Spätantike bis zur Neuzeit vorlag ist mit den bisher vorliegenden Mitteln nicht festzustellen.
Auch die mangelnde Behandlung der Einstellung des Christentums zur Magie ist ein Makel dieser Verallgemeinerung. Das im Christentum Magie meist als menscheneigene Macht nicht existiert sondern ein Mittel der Verführung ist - daher eine Unterscheidung gar nicht vorliegen kann sondern nur ein Zweck der dieses Mittel eben nicht heiligt, wäre zwingend erwähnenswert gewesen.
Und doch findet sich eine Unterscheidung in "schadhafte- und gute Magie" selbst in dieser Position. In Mailand fanden 1384 und 1390 zwei Prozesse gegen Frauen statt, die gestanden hatten an "Gesellschaften" der "Madonna Oriente" teilgenommen zu haben. Im ersten Prozess wurden sie zu Buße und Umkehr verurteilt, also Geldstrafen und Sühnehandlungen. Ihnen war zwar Frevelei vorgeworfen, aber kein Schaden. Erst das Ausbleiben der Umkehr, also die weiterhin stattfindende Teilnahme an "Gesellschaften" führte zum zweiten Prozess und zur unmenschlichen Strafe der Hinrichtung.
Dieser Schandfleck der Kirchengeschichte ist nicht geeignet, die Kirche oder ihre Mitglieder in Unschuld zu waschen, aber er zeigt deutlich die mangelhafte Auseinandersetzung Deschners mit den Fakten. Hier wird eben doch unterschieden und die Parallelen zu vorchristlichen Hexenverfolgungen deutlich aufgezeigt.

Unerwartet menschenverachtend wird Deschner dann aber in Bezug auf den Hexenglauben in heutiger Zeit. Deschner prangert an, dass die Kirche "die Mittel der Magie" versuchte auszutreiben und erfreut sich daran, dass die hier verwendeten Mittel mitunter aus Riten anderer Religionen (zu) stammen (scheinen) oder ihnen ähneln. In den Absätzen, in denen er die Verfolgung von "Zaubernden" vor dem Christentum negiert und sich dann über dessen Kampf gegen diesen Magieglauben lustig macht hätte er Bezug nehmen können auf die Ereignisse unserer Tage, so wie es Behringer in seinem Überblicksbüchlein gleich zu Beginn des zweiten Kapitels unternimmt. Selbst heute noch passiert es immer wieder, dass "Hexen" hingerichtet oder gelyncht werden. Saudi-Arabien als Beispiel eines hinrichtenden Staates und von einem Mob unter den Augen der Staatsmacht ermordete Frauen in Papua-Neuguinea für Lynchjustiz.

Zu 2. Obwohl er davon spricht, dass jenes frühe Christentum keine schweren Strafen für Magie kannte und erst am Ende des Mittelalters seine Position z.T. umkehrte, erklärt er gleichzeitig eine Verfolgungssituation seit dem Frühmittelalter durch die Kirche aber auch bestimmte Gruppierungen und beschuldigt bereits Konstantin als ersten Verfolger.

Inkonsequent beschuldigt Deschner bereits Konstantin als aktiven Verfolger von Zaubernden.

„Der erste christliche Kaiser, Konstantin I., der im 4. Jahrhundert einerseits selbst Eingeweideschauer und Astrologen befragt, der auch gesetzlich Heil- und Wetterzauber zugelassen hat, pönalisierte andererseits schon das Verabreichen von <<Liebesbechern>> mit Exil und Güterkonfiskation, ja, im Todesfall, mit dem Zerreißen durch wilde Tiere oder durch Kreuzigung (I 268). Auch diskriminierte bereits Konstantin das früher erlaubte Wahrsagen.“
Kriminalgeschichte des Christentums, Bnd. 8, S. 308
Was Deschner hier nicht anführt, ist, mal wieder, der Zusammenhang, denn dieser würde seine Thesen in Frage stellen. Ebenso die vollständige Darstellung. Das Konstantin sich der Vogelschau undder Geweideschau bediente steht nicht nur außer Frage, sondern wird von den ersten bis zu den letzten überliefernden und forschenden Christen niedergeschrieben - also jenen Menschen, denen Deschner per se aufgrund ihrer Religion ehrliche historische Forschung abspricht. So findet sich eine Anordnung jenes "christlichen Kaisers" auch im Codex Theodosianus (IX. 16.1.), Gesetzessammlung des Kaisers Theodosius erwähnt, die besagt im Falle eines Blitzschlages in Palast oder öffentliches Gebäude einen haruspex zu Rate zu ziehen. Diese Information unterschlug auch der Religionshistoriker und Chorherr Ambros Josef Pfiffig nicht, der jedoch eine plausible und fachliche Analyse zu Konstantins dazu scheinbar im Widerspruch stehenden Verbotes eine Eingeweideschau im privaten Heim durchzuführen anschloß. Gerald Krutzler schreibt dazu zusammenfassend:
"Dieses Verbot ist Pfiffig zufolge noch nicht unter dem Einfluß des Christentums zu sehen, sondern richtet sich, als rigorose Wiederholung des von Tiberius erlassenen Verbotes, gegen die private, d.h. heimliche, Ausübung der haruspicinia in der unkontrollierbaren Privatheit der eigenen vier Wände, während ihre öffentliche Ausübung, wie auch die öffentliche Ausübung heidnischer Religion an sich, ausdrücklich erlaubt blieb."
G. Krutzler, Kult und Wahrnehmung: Wahrnehmung der Germania bei Bonifatius, Wien, Berlin, Münster, 2011, S. 184.
Die Verbote stehen also nach Fachmeinung nicht im Zusammenhang mit Konstantins (realer oder projezierter) Religion. Wozu dann? Auch das erwähnt Pfiffig, als er auf Verbote der Vorgänger Konstantins verweist. Unter Punkt 1. habe ich an dieser Stelle andere Beispiele besprochen. Es ist also mehr die Position des Kaisers die Konstantin zu seinen Verboten und Strafen veranlasste. Anders als von Deschner dargestellt ist dies also weder neu noch ausschließlich auf christliche Kaiser beschränkt.

Gerade was aber Wahrsager, Deuter und Leser aller Art angeht, so bleibt Deschner einen weiteren entscheidenden Hinweis schuldig. Schon die klassischen Sagen berichten, dass die Erlaubnis, Lohn oder Strafe auch von der Art der Botschaft abhängen konnte. Laokoon und seine Söhne, um ein Beispiel zu nennen, fanden durch „ein Gottesurteil“ den Tod, weil ihre Vorhersagen zwar zutreffend, aber unangenehm waren.
Wie oben erwähnt verbot Augustus das Wahrsagen in Rom außerhalb bestimmter Normen und ließ Bücher verbrennen. Agrippa verbannte Astrologen aus Rom, ebenso Tiberius und Vitellius.
Was das Frühmittelalter angeht führt Deschner selbst aus (S. 302) welche Strafen „durch Zauberei Verliebtheit erregt“ im Mittelalter zur Folge hat.
„Ein Mord mittels Zauberei wird durch sieben Jahre Buße gesühnt.“
In Relation zu den vorgenannten Urteilen erscheint dies keineswegs drakonisch oder ein Pogrom befördernd.
Auch das Karl d.Gr. die Todesstrafe für die irrgeleiteten Magiermörder, also jene, die einen Menschen wegen dessen vermeintlicher Magie ermorden, verhängt findet eine Bemerkung - wenn auch an den Rand versetzt und deutlich in seinem Sinne interpretiert.
Selbst der canon episcopi und das darin eben ausbleibende Todesurteil ist ihm bekannt und ein paar Zeilen wert. Aber all diese Beispiele bringen ihn nur dazu, diese Phase der Geschichte als Einleitung der Hexenverfolgung zu deuten und nicht bereits als Höhepunkt.
Es ist nicht zu bestreiten, dass bestimmte Glaubensinhalte, bpsw. der Glaube an Dämonen, eine eindeutige und stringente Linie von den frühen Kulturen bis ins Christentum aufweisen. Deschner versucht die Bedeutung solcher Elemente vor dem Christentum zu schmälern und im Christentum zu potenzierender Bedeutung zu führen. Dabei ist es nicht nur der heilige Augustinus sondern auch Platon, der ihnen einen bedeutenden Raum einräumt. Deschner wäre also in der Pflicht gewesen, nicht nur die Existenz solcher Lehren nachzuweisen, sondern auch ihre wachsende Bedeutung bis hin zu ihrer Rolle als Auslöser der Hexenverfolgung. Da er selbst aber Texte anführt, die genau das Gegenteil am Christentum beweisen, also die lange währende Ablehnung des Zauberglauben, ja den Versuch, diesen Aberglauben abzustellen ist seine Schlussfolgerung eigentlich unbegreiflich. Vielmehr müssen alle folgenden Texte zur Hexenverfolgung in der "Kriminalgeschichte des Christentums" im Licht dieser wankelmütigen und voreingenommenen misslungenen Beweisführung gesehen werden.
Dazu kommen die bereits mehrfach erwähnten Auslassungen des Autors. Völlig korrekt führt er auf Seite 308 verschiedene Morde im sechsten, neunten, 11. und 12. Jh. an. Völlig inkorrekt lässt er die Informationen die wir zu diesen Fällen sonst haben aus. Man kann ziemlich deutlich erkennen, dass er Behringer zitiert, wenn er die Beispiele auflistet. Behringer aber betont bspw. bei den drei verbrannten Erntehelferinnen bei Freising im Jahr 1090, dass dies in einem Jahr der Sedisvakanz in dieser Bischofsstadt den Menschen plötzlich mehr Freiheit als gewöhnlich ließ. Auch unerwähnt lässt Deschners den wichtigen Verweis Behringers, dass:
"Mönche des nahen Klosters Weihestephan von einem Märtyrertod der Frauen sprachen, für ein ordentliches Begräbnis sorgten und den Vorfall der Nachwelt überlieferten."
W. Behringer, Hexen: Glaube, Verfolgung, Vermarktung, 52009.
Deschner setzt fort:
„Gewiß hat es in diesen frühen Jahrhunderten mehr Opfer christlichen Hexenwahns gegeben als die Dürftigkeit der Überlieferung erkennen läßt. Zumal die meisten Fälle der Lynchjustiz, etwa im Alpenraum, in Skandinavien, offenbar nicht aktenkundig wurden. In Polen und der Ukraine kamen so nach einer Schätzung die Hälfte aller Opfer um.“
Dem schließt er so reine Spekulationen an. Unter dem Titel der Kriminalgeschichte firmiert die Spekulation zu unrecht. Zur Falschanschuldigung trägt denn eine aktuelle Schlagzeile bei, die dem quantitativen Eindruck des letzten Satzes eine Kleinigkeit hinzufügt.
DIE UKRAINE FEIERT IHRE CHRISTIANISIERUNG VOR 1025 JAHREN.
Ähnliches gilt für Polen. Die Christianisierung unseres östlichen Nachbarns begann erst im 10. Jh. und dauerte in Teilen bis weit ins 13. Jh. hinein an. In jenen Gebiete einfach für besagte Zeiträume, die "frühen Jahrhunderte", zu veranschlagen, dass dort Hexenverbrennungen stattgefunden haben, im Namen des Christentums, ist schon im Bereich der bösartigen Unterstellung.
Man kann zwar davon ausgehen, dass es wirklich mehr Opfer als die Bekannten gegeben hat, wie viele aber und wo, dass lässt sich weder in die eine noch in die andere Richtung auch nur schätzen.
So gibt es katholische Gebiete zur Zeit der dramatischen Hexenverfolgung in denen es kaum bis gar keine Opfer gab. Da ist es vermessen zu Schlussfolgern, dass in Zeiten vereinzelter Vorfälle überall doppelt so viele Opfer gab, wie bekannt.

Ähnlich verfährt Deschner auf Seite 309. Er zitiert aus dem Sachsen-, Schwaben- und Richterlich Klagspiegel um zu belegen, wie verbreitet die Todesstrafe für Hexen und Zauberer war - nur um danach zuzugeben:
„Ingesamt aber hielt sich die profane Obrigkeit zurück, schaltete sich die weltliche Justiz, ausgenommen etwa Fälle von Schadenszauberer, während des ganzen Mittelalter noch eher selten.“
Er zitiert auf diesen Satz folgend Trusen:
"<<Der Vorrang der Initiative lag zunächst bei der geistlichen Gerichtsbarkeit, besonders bei Inquisitoren>>. In ihre Kompetenz fiel ja die Hexerei, seit man alle möglichen Wahrsage- und Zauberkünste, die ganze schwarze Magie unter dem Begriff der Härsie subsumiert und den Teufelspakt, die Teufelsbuhlschaft, den Hexenflug oder Hexensabbat, die rituelle Teufelsanbetung als Apostasie, satanische Gegenkirche, als bewußte Abkehr von Gott verstand."
Wer aber das Kapitel bis hierhin gelesen hat bekommt den Eindruck, es ginge noch immer um die Zeit ab dem 6. Jh.n. Diesen Eindruck relativiert Deschner erst darauf mit dem Verweis:
"Der Übergang von der <<Ketzer>>- zur Hexeninquisition vollzog sich im Laufe des 13. Jahrhunderts, in dessen zweiter Hälfte es noch wenige Hexenprozesse gab Hundert Jahre darauf und später aber mehrten sie sich (...)." 
Er macht sich nicht die Mühe zu betonen, dass im Zentrum der Inquisition, Spanien, kein solcher Wandel zu verzeichnen ist. (Im Gegenteil, hier sorgte die Inquisition dafür, dass derartige Prozesse kaum vorkamen.) Er bezieht sich vor allem auf die Bulle "Super illius specula" des Papstes Johannes XXII. welcher 1326 veranlasste das Personen die unter Verdacht der Ausübung des Schadenszaubers standen als Ketzer behandelt wurden - im 14. Jh. also.
Keinen dieser, zumeist durch die bekannten Methoden Auslassung und Unterstellung entstandenen Widersprüche löst Deschner auch nur Ansatzweise zufriedenstellend auf.

Daran ändert auch das folgende Kapitel nichts, in welchem er sich vornehmlich an die Texte des "Hexenhammers" und Innozenz VIII. hält, Gegenstimmen und Widerständler entweder unterschlägt oder als vereinzelte Lichtblicke erscheinen lässt. Das sich die beiden Texte letztlich auf eine Person zurückverfolgen lassen und darüber nicht die gesamte Kirche und Christenheit, die sich zudem zu dieser Zeit bereits stark gespalten hatte, abzuurteilen ist bleibt für den Hypokraten ohne Belang. Sträflich aber ist die Unterschlagung der Analyse Behringers, der als Grund für die Reise des späteren Hexenhammerautoren Kramer den anhaltenden Widerstand Seitens der Geistlichkeit angibt. Den ersten Versuch nach Unterzeichnung der Bulle durch den Papst unternahm Kramer dann in Innsbruck. Seine Methoden führten dazu, dass trotz Bulle Bischof, Klerus und Bürger gegen ihn Aufstanden und ihn aus der Stadt warfen. Derlei passt nicht in das Konzept Deschners, weshalb er es zwar berichtet, aber in den Worten so darstellt, als sei ein Schicksalsschlag dazwischen gekommen und der Bischof wäre irgendwie nicht so recht einverstanden gewesen - statt sich völlig und gegen päpstliche Autorität dagegen aufzulehnen.

Nicht berichtet Deschner von den Vorgängen in Katalonien in den Jahren 1618 bis 1622. Die Inquisition war in jenen Jahren der Dürre und Knappheit die von den weltlichen Gerichten zu dutzenden Geführten Verfahren gegen vermeintliche Hexen und deren Hinrichtung zu unterbinden. Rummel und Voltmer berichten:
"Während der von der Inquisition (zur Rettung, Anm. Theodred) entsandte Kommissar zur einen Seite der Stadt hineinritt, entführten die Gerichtsbüttel auf der anderen Seite die inhaftierten Frauen aus dem Gefängnis, um sie auf freiem Feld zu erdrosseln."
W. Rummel & R: Voltmer, Hexen und Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit, Darmstadt, ²2012, S.123.

 

 

3. Er bezeichnet "die weisen Frauen" als "fast einzige Zielgruppe der Pogrome".

Nach mehreren Seiten ausführlicher Schilderung der Frauenfeindlichkeit kommt der Kirchenkritiker auf Seite 316 zu folgendem Satz:
„Nun gibt es eine Gruppe von Frauen, den Autoren des Hexenhammers verhaßter als jede sonst: die Hebammen. Es erstaunt, daß der Fanatismus der Inquisitorn, ihre Verfolgungssucht gerade diese Frauen trifft. Sie können kaum schlecht genug gemacht werden. Ja, es wird schlicht behauptet: <<Niemand schadet dem katholischen Glauben mehr als die Hebammen.>>“
Deschner kommt zu diesen Sätzen durch die Arbeiten von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, deren Buch "Die Vernichtung der weisen Frauen" und die darin enthaltene These "Das Ziel der Hexenverfolgung der frühen Neuzeit ist die Beseitigung von Geburtenkontrolle." er nicht hoch genug loben kann. Für ihn geht es in der Tat um den durch Seuchen und Missernten ohnehin entstandenen Arbeitskraftverlust, welchen die Kirchen als finanziellen Verlust nicht noch durch Abtreibungen verstärkt sehen wollten.
"Den größten Grundbesitz aber hatte weiterhin die katholische Kirche (...), folglich trieb gerade sie zum Kampf gegen Verhütung, Abtreibung, Kindstötung, folglich mußte vor allem die Trägerin des Verhütungswissens, die Hebamme, ausgerottet werden. Ergo beginnen im späten Mittelalter ziemlich jäh und vermehrt die Hexenverbrennung (...)."
Kriminalgeschichte des Christentums, Bnd. 8, S. 317.
Kritiker dieser Autoren und ihrer These diskreditiert Deschner einfach, nennt ihre Auseinandersetzungen "Disqualifizierungen" und einen "literarischen Genuss", ohne deren Argumente wenigstens einmal aufzuführen.
Jeder, der jenes "gründliche wie klare Buch" ablehnte oder dagegen argumentierte betitelt er als "Neider, Mißgünstigen, Besserwisser".
Dafür schliesst er diesen Lobgesang bzw. diese Beleidigung mit dem Satz
"Und wie auch immer die verschiedenen Faktoren des Problems bewertet werden mögen, hinter all den horrenden Massaker steht unzweifelbar als Basis und immerwährendem Anschub die Moral, besonders die Sexualmoral der Kirche."
Kriminalgeschichte des Christentums, Bnd. 8, S. 317.
an. Hauptgrund der Hexenverfolgung ist für ihn daher „pseudoreligiöer Fanatismus, abergläubische Pfaffenhysterie und -dummheit und materieller Raffsucht“.





Fakt ist, die meisten Historiker haben das Buch nicht mal in ihrem Literaturverzeichnis, da die Methode längst als unwissenschaftlich, die These als abstrus und ahistorisch entlarvt, das dahinter stehende Gedankengut als programmatisch erkannt wurde.
Einige der markantesten Gegenargumente möchte ich auflisten.
- Wäre die Theorie korrekt, so wären Hebammen und als solche arbeitende Frauen markant unter den Opfer, die Zahl der Frauen in diesem Beruf in der frühen Neuzeit stark rückläufig, die Hebammen bei allen Wellen die ersten unter den Opfern oder zumindest in den örtlichen Statistiken herausstechend.
Da wir mittlerweile über einen reichen Vorrat gesichteter Akten von Hexenprozessen verfügen können wir dies als unzutreffend zu den Akten legen. Die Opfer finden sich in Zentraleuropa zwar vorwiegend unter Frauen, dort aber quer durch nahezu alle Schichten der Gesellschaft und Berufsgruppen. In Skandinavien sind es zu einem großen Teil auch Männer die zu Opfern werden und damit der Theorie entgegen wirken. Regional sind die Opfergruppen sehr unterschiedlich. Zwei Bücher der Heimatgeschichte aus dem Raum Kärnten (beide 2009) wiesen für ihren Raum nach, dass die größte Gruppe unter den Opfern besitz- und heimatlose Männer waren.
Nach Calvins Einzug in Genf wurden Hexenprozesse gegen mehrere Männer mit deren Hinrichtung vollzogen.
- Die Bulle des Papst Innozenz VIII. verweist ausdrücklich auf Männer und Frauen. Eine Hervorhebung der Frau oder spezieller Frauen dieses für die Ansichten Deschners so zentralen Schriftstück ist also nicht nachzuvollziehen, auch hier eher das Gegenteil. Der Papst hat mit seiner Formulierung den eigentlichen Hintermann, Kramer, vor den Kopf gestoßen, der dies nicht vorsah.
- Das Konstrukt der "weisen Frau" stammt nachweislich aus den Zeiten der Romantik (basierend auf den Vorstellungen "weisser Zauberei" des Mittelalters), verbreitet u.a. von Grimms über Nazis bis zur modernen Feministin. Die wissenschaftlich nachgewiesene Lebensrealität bietet uns bislang keinen derartigen Ansatz.
- Behringer (W. Behringer, Die Drohung des Schadenszaubers. Von den Regeln wissenschaftlichen Arbeitens. Eine Antwort auf Heinsohn und Steiger, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.10.1987, S. 37. ) hat eindrücklich dargelegt, dass die Zeiten der massiven Hexenverfolgung mitunter auch Zeiten der Überbevölkerung waren, die Orte der Hexenverfolgung oft soziale Ballungsgebiete mit einem großen Überschuss an Arbeitskraft - also das Gegenteil der Grundlage der Heinsohn / Steiger Theorie.
- Die "weise Frau" als Hüterin von Können und Wissen ist ein Mythos, vielmehr ein Vorurteil gegenüber den Menschen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. Nach allem was wir bisher wissen, war der Informationsstand der Bevölkerung was Empfängnis, Abtreibung und Geburt anging durchaus geeignet das Leben wie gewohnt, möglicherweise aber mit höheren Verlusten an Menschenleben bei der Geburt fortzusetzen. Damit wäre zudem das Gegenteil dessen erreicht, was die Autoren unterstellen.
- Die Entwicklung eines solchen Planes ist in damaliger Zeit schlicht nicht praktikabel. Weder hatten Kirche noch Gemeinschaften die Ressourcen noch den Überblick alle Hebammen zu erfassen und zu fassen.
- Hexenhinrichtungen entstanden oft explosiv aus plötzlichen Anschuldigungen und Verdächtigungen der Bevölkerung.In den neuzeitlichen und dokumentierten Fällen ist großteils eben kein Inquisitor oder Kirchenmann zugegen oder beteiligt, wenn die Anklagen erstmals erhoben werden.
 usw. usf.

Etwas ausführlicher bespricht Walter Rummel für die Seite historicum das Phänomen und auch eine Ausstellung aus dem Jahr 2002 u.a. im Deutschen Historischen Museum hat sich am Rande damit beschäftigt.

Es ist mir ein Rätsel, wie angesichts geballter persönlicher Anfeindung, Herabwürdigung, Voreingenommenheit und unwissenschaftlichen Arbeitsweise irgend ein Rezensent ein positives Urteil fällen konnte.




Zu. 4. Hauptschuldiger, Initiator  und Koordinator sei die katholische Kirche mit ihrer Sexualmoral und der dahinterstehenden Raffsucht.

Wie weiter oben schon ausführlich dargelegt gab und gibt es Hexenverfolgung mit und ohne Beteiligung von Kirchenpersonal, -lehren und -institutionen. Die Haltung der Kirche zum Hexenglauben war erst ablehnend, schwenkte dann nach und nach ein um ihn schließlich wieder abzulehnen. Schon allein diese Tatsachen widersprechen der Behauptung sie sei Hauptverantwortliche.
Deschner arbeitet sich vor allem an den päpstlichen Bullen „Summis desiderantes affectibus“, „Super illius specula" und dem Hexenhammer ab, also den Positionen zweier Päpste und des Inquisitors Heinrich Kramer. Eine Gegenüberstellung mit anderen Positionen bleibt bis auf einige als positive Randerscheinungen dargestellten Einzelpersonen aus.
Wer aber den Hexenhammer anführt, der sollte verschiedene Punkte schon der Vollständigkeit halber erwähnen. So werden als Autoren oft die Inquisitoren Kramer und Sprenger genannt. Die aktuelle Forschung aber belegt, das Sprenger nicht nur keinen Beitrag zum Hexenhammer leistete, sondern sich gerade gegen die Hexenverfolgung aussprach. In der Konsequenz wurde er gegen seinen Amtskollegen mehrfach aktiv, sorgte für Widerstand und machte ihm seine Verfolgungen schwerer.
Wenn also bereits in den publizierten Autoren keine Einigkeit herrschte, wie sieht es mit der Anerkennung des Hexenhammers aus? In einer Konferenz der Inquisition 1526 in Granada lehnten diese den Hexenhammer ab. Als 1548 ein Inquisitor sieben Frauen in Tarragona hinrichten ließ wurde die Suprema aktiv und ließ ihn selbst entheben und strafen.
Ein einheitliches Bild, eine klare Haltung der Kirche, ihrer Vertreter oder gar aller Christen wird hier deutlich wiederlegt.
Mittlerweile sollte allgemein bekannt sein, dass auch die protestantischen Kirchen ihren Teil an der Verfolgung von Hexen beitrugen, völlig unabhängig von ihrer jeweiligen Sexualmoral. Bereits erwähnt wurde z.B. der Anstieg an Hexenprozessen in Genf nach Calvins Einzug. Auch Luther hatte eine bekannte und klare Position zur Hexenverfolgung bezogen, die sich in den Reaktionen protestantischer Gebiete wiederfindet. Für Deschner ist dies natürlich nur ein Beleg der allgemeinen Schuld des Christentums; diese mangelnde Differenzierung erklärt jedoch nicht den Widerspruch zu der von ihm angestrengten These der Schuldigkeit und Organisation der katholischen Kirche und ihrer Lehren bzw. ihrer Gier.
Schließlich kollidieren zwei Anschuldigungen Deschners und die tatsächliche Entwicklung beim Hexenhammer. Der eigentliche Titel lautet bekanntlich: Malleus Maleficarum und deutet bereits auf die Sprache hin, welche das Buch benutzt. Es ist komplett in Latein verfasst. Deschner selbst beklagt an anderer Stelle, dass die Kirche Latein dazu nutzt, die dieser Sprache meist unkundige Bevölkerung auszuschließen und "dumm zu halten". In den Wellen der Hexenverfolgung liegen keine Übersetzung vor, bis auf einige Passagen ins Polnische. So gehörten vor allem Juristen und Gelehrte zu den Konsumenten. Die Beteiligung der Bevölkerung ist aber ein grundlegendes Element der Hexenverfolgung, von der Denunziation bis zum Lynchmord.
Der in dem Buch selbst geführte Diskurs ist für Personen außerhalb studierter Kreise nicht geeignet. Die scholastische Vorgehensweise und die Wiederholung selektiver Lehrmeinungen in Kombination mit teilweise lächerlichen Konstruktionen (Deschner wiederholt selbst Kramers frauenfeindlichen Versuch aus dem lateinischen Wort "femina" eine Abwertung der Frau an  sich zu machen), machen es für ungebildete Kreise mit Lateinkenntnissen schwer verständlich und für manchen Intellektuellen zur nur polemisch zu behandelnden Lächerlichkeit. Das wird bereits an der Form deutlich. Die in der tabula angekündigte Gliederung findet sich im dreigeteilten Text mit insgesamt 57 höchst verwirrend eröterterten Fragen nicht wieder. Dem Leser ist somit ein navigieren im Buch unmöglich.

In der Vergangenheit wurden viele Sätze geschrieben, die den Hexenhammer zum "schlimmsten und verhängnisvollsten Buch" der Menschenheitsgeschichte machten. Heute ist die Forschung davon abgekommen. Das liegt an der Umsetzung des Buches. So wurde für die Stadt Nürnberg 1491 eine komprimierte Version des Hexenhammers geschrieben, der "Nürnberger Hexenhammer". Nach Sichtung der Quellen steht heute fest: er wurde nie eingesetzt, obwohl das Buch Nürnberg viel Geld gekostet hatte.

Auch ein argumentum ex silentio möchte ich kurz anführen. Obwohl der Hexenhammer und seine Positionen, insbesondere die Frauenfeindlichkeit darin, ausführlich besprochen werden, bleibt bspw. Ulrich Molitors Hexentraktat regelrecht unbeachtet. Dieses Buch ist nicht weniger frauenfeindlich und fordert ebenfalls die Todesstrafe für Hexen. Gleichzeitig lehnt es aber die Folter als Mittel zur Erlangung von Aussagen ab und verneint eine teufliche oder menschliche Zauberkraft. Dieser weitaus komplexere Beitrag zur europäischen Hexenverfolgung, der ebenfalls in damaliger Zeit sehr weit verbreitet war, bleibt außen vor. Er lässt sich nur schwer in Deschners Theorien einarbeiten.

Was die Edikte der Päpste betrifft lohnt sich ebenfalls ein genauerer Blick.
Johannes XXII. war direktes Ziel und Zeuge eines Mordversuches, bei welchem sich die Täter auch der Magie bedienten. Täter, das war u.a.der Bischof von Cahors, Hugues Geraud. Die Protokolle der Verhöre erleuchten ein Komplott, bei dem neben Gift auch der Versuch durch Zauberei als Waffe genutzt wurde. Rainer Deckers hat sich mit diesem und ähnlichen Fällen in der gleichen Zeit in seinem Buch "Die Päpste und die Hexen" auseinandergesetzt und kommt zum Schluss einer gründlichen und plausiblen Untersuchung und Anklage. Er belegt zudem mit anderen Fällen mit anderen Ergebnissen, dass keine Vorverurteilung hier zu attestieren ist.
In dieser Zeit also kommt Johannes XXII. zu seiner Haltung zur Zauberei. Diese ist entsprechend der ihm eigenen Erfahrungen keineswegs geschlechterorientiert und lässt sich nicht auf die Thesen Deschners reduzieren - wenn auch ihr Beitrag zur weiteren Entwicklung des Hexenglaubens und ihrer Verfolgung nicht zu leugnen ist. Leider ist an dieser Stelle kein Platz, auf die Komplexität dieses speziellen Themas einzugehen, aber das oben erwähnte Buch kann ich jedem Interessierten nur wärmstens ans Herz legen.
Johannes XXII. ist damit der erste Papst, der Zauberei in seine Lehren deutlich einbezieht und das Fundament für die späteren Verbrechen an der Menschlichkeit legt. Er ist aber nicht der raffgierige Mordbrenner unschuldiger "weiser Frauen", als den Deschner ihn gerne gesehen haben will.

Bereits oben erwähnt wurde Dissenz zwischen päpstlicher Bulle und Hexenhammer in Bezug auf die Frauenfeindlichkeit. Das Kramer auch nach Veröffentlichung der Bulle bei verschiedenen Gelegenheiten auf erheblichen Widerstand stieß spricht ein übriges.
Gerade was eines der Kernlande der Hexenverfolgung, Deutschland, angeht gilt: mit Kramer, bekannt unter Institoris, endete auch die Präsenz einer aktiven Inquisition in Deutschland. Die Fürsten sperrten sich gegen eine ähnlich starke Präsenz wie in Spanien oder Italien, auch wenn ein offizieller Vertreter in Köln bis weit ins 18. Jh. existierte. Dieser verbucht aber keinerlei Verhaftungen mehr. Da die Bulle aber lediglich zugunsten der Inquisition die Verfolgung gewährleistet ist eine Hauptverantwortung hier nicht zu halten. Nicht des Papstes, nicht der Inquisition und nicht der Kirche.
Deschner aber legt gegen derlei kritische Auseinandersetzung mit gewohntem Ton nach:
„Es beleuchtet die perverse Moral der katholischen Kirche, wenn der Jesuit Ludwig Freiherr von Hertling in seinem mehrfach übersetzten und aufgelegten Hauptwerk „Geschichte der katholischen Kirche“ noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts schreiben kann: <<Nicht wegen dieser Bulle, wohl aber wegen seiner Charakterschwäche und des Ärgernisses, das er gab, gehört Innozenz in die Reihe der Päpste, die den Stuhl Petri entehrt haben.>> Nicht das durch Jahrhunderte fortgesetzte Enteignen, Foltern, Verbrennen – meist bei lebendigem Leib – Unschuldiger ist schändlich, schändlich ist die sexuelle <<Sünde>>, der Zölibatsverstoß.
Es ist fast unmöglich, dass Deschner die Prozesse überlesen hat, die belegen, wie die Bulle wirken konnte. Wurden, wie in Fällen in Innsbruck auf die der vermeintliche Historiker in seinem Buch auch verweist, die Regeln der Inquisition eingehalten, welche Folter und Verhör stark regulieren (bspw. Anzahl der Foltergänge und ihre Dauer), den Angeklagten eine Reihe grundlegender Rechte einräumten u.v.m. so wurden am Ende entweder Freisprüche gesprochen oder Urteile gefällt, die keineswegs stets eine Existenz (auf grausame Weise) auslöschten.
Anhand eines Zitates wird Deschners vorurteilsbehaftete Arbeitsweise wiedereinmal vorgeführt:
„Obwohl die Verfahren vor einem geistlichen Gerichtshof (darunter vier Dominikaner) stattfanden, brach der Prozeß als null und nichtig zusamen, die Angeklagten kamen frei.“ 
Kriminalgeschichte des Christentums, Bnd. 8, S. 312.
Nicht "obwohl" sondern in diesem Fall "weil". Die örtlichen Geistlichen hatten für einen ordnungsgemäßen Prozeß gesorgt. So gewährt diese Ordnung dem Bischof Mitspracherecht, welches dieser Wahrnahm indem er einen juristisch versierten Kleriker einsetzte. Am Ende standen den besagten vier Dominikanern auf Anklägerseite auch vier Vertreter des Bischofs als Mitsprechende gegenüber. Diese setzten wiederum durch, dass den Angeklagten Ärzte und Juristen als Verteidiger zur Seite gestellt wurden. Diese beanstandeten Kramers Vorgehensweise, die Vertreter des Bischofs stimmten dem zu und so "brach der Prozeß als null und nichtig zusammen." Hier war es also die Inquisition, die Kirche und die Bulle, die den Beschuldigten zu ihrem Recht verhalf.
Damit ist die Darstellung Deschners als falsch entlarvt, eine Unterstellung deren Hintergrund entweder die Unfähigkeit die Quellen und Literatur zu verstehen oder der Wunsch zu beschuldigen ist.

Auch das die bspw. angeführte Folter eine Folge der Bulle ist entspricht nunmal nicht den Tatsachen. Folter, das führte ich bereits in einem früheren Teil aus, gehörte schon vor dem Christentum zur Gerichtsführung und wurde unter diesem in der Anwendung reglementiert. Das ist, da muss man dem Kritiker zustimmen, lange nicht entsprechend den Vorgaben der Nächstenliebe und immer noch ein Verbrechen, in der posthistorischen Perspektive jedoch nicht aus dem Kontext gelöst zu bewerten und nicht der Bulle zuzuschreiben. Somit ist die Bewertung des Jesuiten Hertling durchaus nicht "pervers" und ihre Veröffentlichung kein Skandal.


Schluss
Bemerkenswert fand ich bei der Behandlung die kaum oder gar nicht verwendete oder angegebene Literatur Deschners innerhalb der eigentlich nicht geringen Literaturangabe.
Gerade für seine Belesenheit, seine umfangreiche Literaturangabe loben Deschner auch seine Kritiker. Beim Blick in das Literaturverzeichnis zu diesem Kapitel fällt aber auf, dass weder Voltmer noch Rummel erwähnt werde. Decker findet sich ein einziges Mal. Alle drei gehören heute zu den maßgeblichen Hexenverfolgungsforschern im deutschen Raum. Deckers Arbeit findet sich auch fast zitiert in Deschners Text wieder, allerdings nur extrem selektiv zitiert und ohne einen Hinweis auf die Auswertung oder Analyse. So ist der oben aufgeführte Fall von Innsbruck in aller Ausführlichkeit bei Decker zu finden, zitiert hat Deschner aber nur das ihm genehme. Gleiches gilt für den Autoren mit der häufigsten Nennung: Behringer. Auf ihn verweist ca. die Hälfte aller Angaben, die Inhalte sind aber einseitig und verzerrend wiedergegeben.
So sieht seriöses Arbeiten nicht aus. Dementsprechend bleibt bei der Behandlung des Themas nur ein Eindruck, der weder überraschend noch neu ist. Hier handelt es sich um keine wissenschaftliche Arbeit, keine historische und erst recht keine juristische, wie der Titel "Kriminalgeschichte" ja vermuten lässt. Es handelt sich um eine enorm polemische, einseitige und vorurteilsbehaftete Anklageschrift eines arbeitswilligen Menschen die aus mir nicht erfindlichen Gründen trotz ihres niedrigen Niveaus nicht nur Verleger und Abnehmer sondern auch positive Rezensionen findet. Die Geschichtsklitterung die allein in diesem Kapitel stattgefunden hat ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten und rangiert nur wenig über Hetzschriften. Seine Wirkung ist dementsprechend gut zu beobachten.
Eine Auseinandersetzung mit dem Verbrechen durch und im Namen der Kirche, die es zweifellos und unbestreitbar gibt, kann auf dieser Basis nicht zu einer Erleuchtung und Versöhnung sondern nur zu neuen Verbrechen führen.


Die Arbeit an dieser Kritik war alles andere als erfreulich. Normalerweise genieße ich Recherche sehr. Die Findung weiterführender Literatur, Quellenkritik und die Formulierung der gewonnenen Erkenntnisse ist ein wunderbarer Prozess. In diesem Fall aber hatte ich den Eindruck, und ich vermute man liest es an meinen Texten, mich stets im Kreis zu drehen. Immer wieder auf die gleichen Argumentationsschemata zu treffen, immer wieder riesige Auslassungen vorzufinden und jede andersgeartete Meinung direkt verunglimpft zu finden.
Auch die Behandlung von Verbrechen, die Erläuterung von Schmerz, Gewalt und Tod ist in dieser Konzentration nicht leicht verdaulich. Die Schicksale zu erfahren und sie dann derart mißbraucht zu sehen, statt der deutlichen Ablehnung der Verbrechen dann eine Relativierung der Vorwürfe zu formulieren ist nicht leicht und sollte hier der Eindruck entstanden sein, mich rühren die Schicksale nicht oder ich will jede Verantwortung der Kirche ablehnen, so möchte ich klarstellen, dass ist nicht der Fall. Es ist die sehr wohl auch die Kirche, die sich an diesen Verbrechen beteiligt, es sind Kleriker aller Ränge die wegsehen, mitmachen oder sogar anstoßen, was den Opfern angetan wurde. Ich verwehre mich einzig gegen die singulare Darstellung, die einseitige und schwarz-weiß malende Art eines Deschners. Die aktuellen Forscher leisten da hervorragendes und ich kann ihre Lektüre nur jedem nahelegen.


Literaturauswahl:

Thema Hexen:

J.-C. Magie und Aberglaube im Mittelalter, Düsseldorf, 2009.
W. Behringer, Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München, 52009 .
W. Behringer, G. Jerouschek (Hrsg., Übers.), W.Tschacher(Übers.), Der Hexenhammer. Malleus maleficarum, München 2003.
R. Decker, Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition, Darmstadt, ²2013.
K. Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums, Bnd. 6, Reinbek, ²2006.
K. Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums, Bnd. 8, Reinbek, 2006.
W. Rummel, R. Voltmer, Hexen und Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit, Darmstadt, ²2012.
R. Voltmer, Hexen. Wissen was stimmt, Freiburg, 2008.
 


Allgemein:

A. Angenendt, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster, 52012.
B. Bleckmann,Konstantin der Große, Reinbek, 52007.
M. Clauss, Konstantin der Grosse und seine Zeit, München, 2009.
N. Jaspert, Die Kreuzzüge, Darmstadt, ⁶2013.
L.E. v. Padberg, Die Christianisierung im Mittelalter, Darmstadt, 2006.
H.R. Seeliger (Hrsg.), Kriminalisierung des Christentums? Karlheinz Deschners Kriminalgeschichte auf dem Prüfstand, Freiburg, 1993. 



Der Text entstand in privater Initiative in der eigenen Freizeit. Stilistische und grammatikalische Verirrungen wie Wortwiederholungen sowie orthographische Fehler bitte ich zu melden und zu entschuldigen. Er wurde bislang nicht korrekturgelesen.

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