Mittwoch, 23. Oktober 2013

Dämlichster Artikel des Tages (bis jetzt)

Wenn Lobbyartikel in die Hose gehen kann das so aussehen: Schwule Käfer. (das ist der Titel des Artikels, kein Wertung meinerseits.)
Los geht es bereits in der Zwischenüberschrift:
Bei einigen Käferarten paaren sich bis zu 85 Prozent der Männchen mit Geschlechtsgenossen. Ist Homosexualität unter Krabbeltieren also das Standardbeziehungsmodell?
Mr. Magoo liebt Hunde.
Was ist ein "Standardbeziehungsmodell"? Es gibt Beziehungen, das sind laut Duden wechselseitige Verhältnisse oder ein Kontakt zwischen Einzelnen und Gruppen - wikipedia schlüsselt direkt in verschiedenste Arten auf, die hier in Frage kommenden sind wohl "Partnerschaft" und "Liebesbeziehung". Gemeint war wohl die Frage nach dem Zusammenleben - was eine biologische Fehlleistung darstellen dürfte. Denn ja, Käfer paaren sich auch mit gleichgeschlechtlichen Käfern - weil sie fast so schlecht sehen wie Mr. Magoo.
Darum paaren sich bei "einigen Arten" die Männchen mit allem, was auf ihre Balzplätze gerät und auch nur entfernt aussieht, wie ein Käfer ihrer Art. Inklusive Käfer anderer Arten und unbelebter Gegenstände.
Und nein, das ist keine "Beziehung", denn das tun sie bis zu 20 Mal in der Paarungszeit und die Zahl der Partner dabei ist dabei weder begrenzt noch konstant noch wird gesteigerten Wert auf einen bestimmten, individuellen Käfer gelegt. Der Begriff dafür: Promiskuität. Es gibt keinerlei dauerhaften Kontakt über den Geschlechtsakt selbst - von Beziehung zu sprechen kann sich nur um einen Irrtum des Redakteurs handeln.
Der eigentliche Artikel wird eingeleitet mit dem prägnanten Satz:
Das Tierreich kennt keine Moralapostel.
Das ist sogar mal richtig. Ethik ist Tieren auch egal. Keine Katze käme je auf den Gedanken eine andere auszuschimpfen, weil diese mit ihrer Beute "spielt" - i.d.R. eine mörderische Qual für das Beutetier.
Abstrakte Denkmuster und -formen sind nunmal eher selten im Tierreich anzutrefen. Ich hätte von einem Wissenschaftsjournalisten erwartet, dass er dies weiß. Aber andere Zeiten ....

Unter Pinguinen, Delfinen, Affen und anderen Tieren regt sich niemand auf, wenn sich zwei Männchen oder zwei Weibchen zum gleichgeschlechtlichen Sex treffen. Homosexualität scheint eine ziemlich normale Angelegenheit unter Tieren zu sein.
Man versteht, worauf der Schreiber hinauswill. Seine Bewertung dieses Faktes ist zwar bereits diskussionswürdig, aber nicht ungewohnt. Rein faktisch aber liegt er wieder falsch. Tiere regen sich durchaus über Paarungen und Paarungsversuche auf - rangniedere Tiere haben sich in Rudeln nunmal nicht zu paaren, Geschlechtskonkurrenten werden vertrieben usw.
Will man also, wie es die Intention jenes Absatzes zu sein scheint, darauf hinweisen, wie es in der Natur läuft und was natürlich ist um es nach Möglichkeit auf den Menschen zu übertragen, wäre dies der Vollständigkeit halber zu erwähnen. Das gilt auch für das umgekehrte Argumentationsmuster, dem dies aber zugleich auch gerne vorgeworfen wird. Noch vor wenigen Jahrzehnten hieß es stets: "das ist nicht natürlich, sowas macht kein Tier". Da das Gegenteil nunmehr nicht nur bewiesen sondern auch bekannt ist sollte es kein Problem sein die Natur dieses Vergleiches ebenfalls unter die Lupe zu nehmen und dann endlich sein zu lassen.
Will man wirklich die "Natürlichkeit" zum Vorbild nehmen, dann müssten die gleichen Journalisten ins Stottern geraten, wenn sie bspw. auf die Vergewaltigung, Mord, Infantizid, Kannibalismus und den Inzest kämen. All diese Phänomene sind im Tierreich anzutreffen - manchmal bei wenigen Spezies, manche bei überraschend vielen und uns nahen.
Ohne "Moralapostel" - wie Stünde es da um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen?
Inzest ist bei Menschen, anders als bei vielen Tierarten, eine verhängnisvolle Art der Beziehung die das Gengut nachhaltig schädigt.
Die Menge der umgebrachten Nachkommen im Tierreich ist schrecklich gewaltig und gilt bei Biologen als "natürlich" - im Tierreich.

Der SZ Artikel kommt am Ende darauf zu sprechen, dass die Biologen, die gerade einen wissenschaftlichen Artikel über das Paarungsverhalten der Käfer veröffentlicht hatten die Hintergründe für die angebliche Homosexualität erläutern und den Vergleich ablehnen.
Betrachtet man also den informativ-wissenschaftlichen Teil des Artikels und vergleicht ihn mit dem ersten Absatz, so wird klar: es geht nicht um neue Erkenntnisse, die gibt es nämlich nicht. Die Fakten sind lange und sattsam bekannt, die Wissenschaftler stellten lediglich die Ergebnisse ihrer spezifischen Forschung dem Fachpublikum vor. Der Autor aber nahm dies als Chance wahr, mal wieder Stimmung zu machen.
Damit mich niemand falsch verstehst: andersherum finde ich dies ebenso absurd. Heute findet man diese Art in unseren Medien aber eher nicht mehr - während Artikel wie "Schwule Käfer" auffallend oft veröffentlicht werden. Keine neuen (oder richtigen) Fakten aber viel Stimmungsmache. Früher nannte man das Propaganda. Heute muss man dafür Russe sein und wird dafür angefeindet.

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