Montag, 8. Juli 2013

Rezension: Gottes Krieger

Ein vielbeachtetes Buch dieser Tage ist Rodney Starks "Gottes Krieger: Die Kreuzzüge in neuem
Licht." Vielbeachtet da es mit, für unsere Zeit und die aktuelle Geisteshaltung in Europa geradezu provokante Thesen anbietet und bereits in der im Titel enthaltenen Zusammenfassung der bisher vorherschenden Meinung den Krieg erklärt.
Und natürlich habe ich dieses Buch mit einem Schwanken zwischen tiefster subjektiver Hoffnung und Befürchtung gekauft und versucht es zu verschlingen. Leider nur versucht. Zwar ist es in einem gut lesbaren Ton geschrieben, die Wortwahl und der Kontext sind flüssig konsumierbar - allein meine Erwartungen waren zu hoch, obwohl ich es als ein gutes, ein wichtiges Buch bewerte.


"Neues Licht" - wie darf man das verstehen?

Rodney Stark
Der Untertitel beinhaltet die Ankündigung, die Kreuzzüge in ein neues Licht zu tauchen. Stark scheint damit aussagen zu wollen, dass er die Sicht auf die Kreuzzüge verändert hat und dies nun vermitteln will. So gesehen schafft er das auch. Er reiht Fakten auf, die zwar nicht neu oder gar von ihm entdeckt wurden, aber in einer Gegenüberstellung zu den gängigen Vorurteilen und vermittelten Bildern durchaus einen anderen, einen neuen Blickwinkel schaffen. Dieser nimmt den Kreuzzügen viel von ihrer absoluten Verdammung - allerdings gelingt ihm das nur z.T. durch die bloße Richtigstellung von Falschinterpretationen oder bewussten Fehldarstellungen.
Ein guter Teil dieses Lichtes strahlt deshalb so intensiv, weil Stark den Schatten dahinter ausblendet. Mitunter sind seine Sympathien für die "bewaffneten Pilger" deutlich heraus zu lesen, an anderer Stelle sucht der informierte Leser vergeblich nach bestimmten Ereignissen oder Handlungen, die wiederum das Licht eintrüben würden. Das Bild welches Stark von den Byzantinern, zumindest deren Machthabern, zeichnet ist das der undankbaren Verräter, gegen die sich die Kreuzfahrer aus "Alternativlosigkeit" wenden oder die sich aus auswegloser Situation herauskämpfen.
Dabei ist der Vorwurf des Verrates sicherlich nicht völlig von der Hand zu weisen, die Bündnisse der Byzantiner mit den Muslimen z.T. gegen die Kreuzfahrer haben existiert und stellten die Europäer mit dem Rücken zur Wand. Das aber der Weg in solche Situationen einseitig ist, das kann man nicht so absolut in den Raum stellen. Auch die Reaktion des Papstes bspw. auf die venizianisch (mit)organisierte Einnahme Konstantinopels fällt bei Stark unter den Tisch, um sein Bild der Geschichte nicht zu gefährden.
Ein neues Licht also, aber leider kein echtes Licht - was aber einige der so beleuchteten Fakten darum nicht in den Schatten stellt. Und diese Fakten sind wichtig in der Betrachtung der Kreuzzüge in ihrer Zeit wie auch in der Wirkung auf unsere Tage.


Thesen

Starks Buch verstehe ich als eine Darlegung verschiedener Thesen und Theorien. Nicht alle davon sind haltbar, einige aber sind Wiedergaben wirklich wichtiger Forschungsergebnisse.
Eine der zentralen Aussagen des Buches ist zugleich eine der wichtigsten Informationen, die zur Beurteilung der Kreuzfahrer benötigt wird. Vielfach herrscht das Vorurteil, die Kreuzzüge seien eine frühe Form des Imperialismus gewesen; die Adligen, die als Ritter in die umkämpften Gebiete zogen seien Zweit- und Drittgeborene ihrer Familien, die ohnehin keine Chance auf Erbe besaßen und sich so Reichtümer und Land zusammenrauben wollten.
Rodney Stark gelingt es anhand von Beispielen ausführlich darzulegen, dass die Kreuzzüge für ihre Teilnehmer vor allem riesige Verluste bedeuteten. Die Vergünstigungen, die ihnen gewährt wurden, bspw. Schuldenstundung, wogen lange nicht die Kosten die ihnen entstanden auf. Nicht wenige verpfändeten ihr Land oder sonstiges Hab und Gut, um sich die nötige Ausrüstung zu leisten. Auch die Reise selbst finanzierte ihnen niemand. Das Gefolge musste bezahlt werden - und nicht selten half man noch anderen aus. Was die meisten erwartete war, und man kann davon ausgehen, dass sich dessen die Menschen dieser Zeit bewusst waren, eine anstrengende und gefährliche Reise, qualvolle Kämpfe und mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit der Tod, sei es in der Schlacht, an einer Wunde oder einer Krankheit. Und trotzdem bestand für den "normalen" Ritter kaum Aussicht materielle Reichtümer oder gar Land zu erhalten.
Kreuzzritter dankt Gott. Szene aus "Arn der Kreuzritter".
So bleibt nur eine andere Motivation zu suchen. Das unternimmt der Autor, wenn auch letztlich nicht
in der wünschenswerten Breite.
Dafür findet sich darin aber auch gleich der Hinweis, dass auch Europa von dek Kreuzzügen kaum profitierte. Fürsten und Könige steckten hohe Geldbeträge und Aufwendungen in die Unternehmungen zur Eroberung und Sicherung. Trotzdem blieb die Region, die man nach Stark Darstellung ursprünglich wohl kaum behalten wollte und diese Haltung erst im Konflikt mit den Byzantinern änderte, ein Fass ohne Boden. Stets bedroht von allen Seiten, ohne große eigene Ressourcen und somit immer abhängig von den Europäern zeichnet dieses Buch eher einen Gegenentwurf zur Kolonie, wie sie sich im Zeitalter des Imperialismus etablierte.

Eine andere, die in meinen Augen wichtigste, Analyse des Buches bezieht sich auf den Auslöser der Kreuzzüge. Sind nahezu alle anderen Darstellungen fixiert auf die Rede Papst Urban II. in Clermont im Jahr 1095 und vielleicht noch auf die vorhergehende Bitte um Hilfe durch den byzantinischen Kaiser, so setzt Stark wesentlich früher an. Er zeigt auf, dass Byzanz bereits zu Lebzeiten Mohammeds durch die Muslime attackiert wurde, auf diese Weise das damals noch gar nicht in der späteren Intensität als Heilige Land wahrgenommene Gebiet verlor und anschließend die Invasion, der Raubzug, durch Nordafrika, Vorderasien und den Mittelmeerraum fegte, bis sie in Frankreich und im byzantinischen Kernland, heute die Türkei, schließlich gestoppt wurden. Das auch hier der Kampf nicht endet, Frankreich noch bis ins 9. Jahrhundert immer wieder mit Plünderungen und Feldzügen zu tun hatte, sogar die heutige Schweiz Attacken erlebte reißt der Religionssoziloge noch an, wie auch die Eroberung Siziliens und Teile Süditaliens. Das sich der Vatikan dank arabischer Invasoren in Rom bewaffnete lässt er ebenfalls nicht unerwähnt. Leider lässt er aber die Front jenseits Europas nahezu unbetrachtet, der Fall des persischen Sassanidenreiches, die blutigen Züge bis nach Indien und die Kämpfe sogar mit chinesischen Truppen wären sicherlich ein weiter Ausgriff gewesen, gleichzeitig hätten sie das Bild der Zeit deutlich gemacht.
Auch eine ausdrückliche und klar verständliche Auswertung dieser Lage in Bezug auf das Datum des Aufrufes zum Kreuzzug hätte ich angesichts der umfangreichen Betrachtung als wertvollen Denkanstoß empfunden. Gilt doch das späte 11. Jh.n. als starkes Argument gegen die Kreuzzüge als Antwort auf die islamische Expansion. Das sich Westeuropa bis dahin selbst an mehreren Fronten in der Defensive befand und keine Ressourcen frei hatte, völlig abgesehen von den innereuropäischen Konflikten,  hätte als Feststellung immerhin an diesem gekratzt.

So bündelt das Buch einen großen Teil an Informationen zu Thesen, die an der verbreiteten Betrachtungsweise rütteln, läßt aber auch noch Spielraum für weitere Diskussion.


Handwerkliche Fehler

Das Buch ist populärwissenschaftlich geschrieben und trägt die Handschrift eines Religionssoziologen, der sich mit historischen Themen befasst. In der Konsequenz macht es vielfach mehr als einen Spagat zwischen Wissenschaftlichkeit, verständlicher und übersichtlicher Vermittlung und fachfremder Heransgehensweise.
Zwar arbeitet der Verfasser an vielen Stellen mit Quellen, verweist sogar auf die Probleme die damit verbunden sind und Historiker stets plagen, unternimmt dies aber keineswegs so ausführlich, dass eine Gegenüberstellung oder Quellenkritik stattfindet. Dies ist für den Lesefluss und den Umfang des Buches sicher von Vorteil, verhindert so aber eine wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit, wie sie im Fach gerne gesehen ist, gerade wenn man gegen verbreitete Haltungen anschreibt.
Besonders negativ fiel mir dies auf, als es um die Pilger und deren Sicherheit ging. Stets zwischen willkommenen Touristen und Geiseln / Raubopfern schwankend wäre eine ausführliche Auswertung der Quellen zur Häufigkeit der Überfälle und Verweigerung von Hilfe angebracht gewesen.

Fast das Gleiche gilt für die angebotene und verwendete Literatur. Hier zitiert und verweist Stark zwar häufiger auf Monographien und Aufsätze, scheut auch vor gegensätzlicher Meinung nicht zurück und entkräftet sie z.T. Hier sei nur der berühmte Satzteil Runicmans als Beispiel aufgeführt: "(...)und der Heilige Krieg selbst war nichts als ein langer Akt der Intoleranz im Namen Gottes (...)". Diesem hält Stark, leider viel zu knapp aber sachlich korrekt, die Koexistenz bis Kooperation der Kreuzfahrer nach ihrer Eroberung mit den muslimischen Einwohnern und Nachbarn entgegen.
Handwerklich ist es jedoch nicht zu entschuldigen, dass der amerikanische Geisteswissenschaftler vielfach einseitige Schuldzuweisungen konstruiert, um Gegenbeispiele zu umschiffen.
So macht er aus den Pogromen der Kreuzfahrer im Rheinland regelrechte Husarenstücke abtrünniger Teilnehmer. Darin steckt mit Sicherheit auch ein Kern Wahrheit, der sich im Widerstand verschiedener hochrangiger Geistlicher gegen diese brutalen Übergriffe manifestiert. Der Mangel an Konsequenzen auf diese Taten und die Hinweise auf Nutznießerei einiger dieser Widerständler bleibt bei Stark jedoch unausgesprochen und somit unbehandelt. Sein Bild ein unvollständiges Puzzle nach seinen Vorstellungen, in dem er einigen Individuen den Hauptteil der Schuld zuspricht, während er die Hauptstreitmacht entschuldigt. Das macht nicht nur diese Kapitel sondern auch sein ganzes Buch angreifbar, offenbart seine Haltung als voreingenommen.

Mitunter erhält man den Eindruck, die Arbeit sei zusammengestrichen worden. Völlig richtig, wenn auch ein wenig kaltschnäuzig, behandelt Stark das Massaker bei der ersten Eroberung Jerusalems unter dem Gesichtspunkt der damaligen Kriegsführung. Dabei spricht er auch den Vergleich mit anderen Belagerungen an. Der Leser, der nun aber direkte und wenigstens vergleichbare Beispiele erwartet wird enttäuscht. Dabei sind die Massaker durch die Mongolen im 13. Jh. ein naheliegendes Beispiel, ebenso die Feldzüge der Muslime im 7.-9. Jh. selbst. Dafür erfährt man immerhin, dass die Rückeroberung unter Saladin, vielfach als Beispiel islamischer Gnade, mehr Erpressung und am Ende gar nicht so gnädig war. Nur für Kenner bleiben Hinweise auf Massaker an den Juden Arabiens, etwa der Banu Quraiza, verständlich.

Inhaltliche Fehler

Bis hierhin habe ich ja bereits einige auch inhaltliche Mängel angesprochen.
Ein weiterer Fehler liegt wohl in der Selbstüberschätzung. Wagt sich Rodney Stark zu weit in Fachgebiete wie die Militärgeschichte vor, werden seine Texte zunehmend von Details eingenommen und diese bleiben zu oft ungenau. So führt er die Franken als Erfinder und erstmalige Nutzer von Lanze (in unter dem Arm eingelegter Art), Steigbügel und hochrandigem Sattel an. Die Steigbügel sind aber keine Erfindung der Franken, sondern bereits bei den Awaren belegt und vermutlich über Umwege bis zu den Franken, die ursprünglich eher der römischen Kampfesweise vorwiegend als Infanteristen frönten, gelangt. Das schmälert zwar nicht ihre Bedeutung im Kampf der Franken gegen die eindringenden Araber, ist aber ein schlicht fehlerhaft dargestellter Fakt.
Ebenso haben die Franken nicht als erste mit der Lanze zu Pferde gekämpft und auch die eingelegte cataphracti oder auch clibanarii tauchen sie dann im römischen Heer auf - um scheinbar relativ erfolglos wieder zu verschwinden, bis die Idee von den Franken und später den Byzantinern erneut umgesetzt wird.
Zeichung eines Panzerreiter, Dura Europos
Stangenwaffe als mächtiges Instrument des Sturmangriffes stammt nicht von ihnen. Bereits im 1.Jahrhundert vor Christus begegneten diese Römer schwer gepanzerten Reitern, die solche langen Speere mittels der durch ihren Anritt aufgebrachten Bewegungsenergie einsetzten. Und das ausgerechnet bei den Persern, den über Jahrhunderte als Erzfeinden der Römer bekannten Sieger von Carrhae. Als
Die Lanze als Waffe zu Pferd wurde seit der Antike ununterbrochen eingesetzt, wie eine Reihe von Quellen der römischen Zeit zeigen. Zwar war die Technik eine andere, aber "Schwert und Axt" als Hauptwaffe, wie von Stark postuliert, ist so eben nicht zu halten. Zumindest nicht, wenn man unerwähnt lässt, dass sowohl die fränkischen Lanze als auch die römischen hasta nach erstem Feindkontakt fallen gelassen wurden.

Das sind zwar Kleinigkeiten die für die Gesamtbetrachtung nur selten Auswirkungen haben, zeugen jedoch von mangelnder Recherche oder Selbstüberschätzung. Besser wäre an der Stelle ein allgemeiner Hinweis unter Angabe weiterführender Literatur gewesen.
Wie oben erwähnt fallen manche Informationen unter den Tisch. Erwähnt Stark, dass die Bischöfe im Rheinland den Juden Schutz gewährten, so vergisst er zu erwähnen, dass laut den Quellen der Mainzer Bischof sich bezahlen ließ und am Ende, als es zum Kampf kam, doch floh. Diese Darstellung wenigstens zu diskutieren hätte die Einseitigkeit gedämpft.

Auch die Zahlen sind nicht unproblematisch. Die mittelalterlichen Quellen sind sehr unzuverlässig und können kaum einen Eindruck vermitteln, wie groß das Heer der jeweiligen Kontrahenten war oder wie viele Menschen auf der Strecke blieben. Dies erwähnt Stark mehrfach, arbeitet nichts desto trotz gerne mit Zahlen. 

Form


Das Buch ist im Hardcover in gut lesbarer Schrift erschienen. Der Lesefluss wird durch Schriftbild wie Formulierungen i.d.R. nicht gehemmt. Einige kleinere Fehler haben sich zwar durch die Übersetzung eingeschlichen, jedoch nichts gravierendes. Die Verweise sind einfach nachzuschlagen, das Literaturverzeichnis dem Buch selbst angemessen.

Fazit


Die in diesem Buch angesprochenen Punkte sind mittlerweile geradezu Teil einer Folklore rund um die Kreuzzüge. Vom Schulbuch bis zur ZDF-Doku werden viele Argumente angeführt, die aus dem Kreuzzügen einen Vorgänger des Imperialismus, aus den Kreuzfahrern perspektivlose, raffgierige Mörderbanden, aus den Kreuzfahrerstaaten bluttriefende Zentren der Intoleranz und aus dem Feldzügen selbst beispiellose Grausamkeiten machen. Oft genug wird darin auch die Grundlage heutiger Konflikte gesehen. Stark tritt dem entgegen und kann mit vielen Fakten aufwarten, die diese
Sicht und Darstellung erschüttern. An wichtigen Punkten aber ist er nicht ausführlich genug oder verschweigt Gegenargumente. Die realen Hintergründe in den Vorurteilen behandelt er somit nicht, wird dadurch zu einseitig und malt einen z.T. fragwürdigen Gegenentwurf, der nur knapp an der Darstellung der Ritterlichkeit aus den Zeiten der Romantik vorbei geht.
Vielleicht ist diese Art nötig, um den lange zementierten Vorurteilen und der unfairen Bemessung damaliger Vorgänge an heutigen Maßstäben entgegen zu treten. Vielleicht helfen diese Schwächen aber auch den ablehnenden Stimmen, das Buch einfach abzutun als die Glorifizierung der Kreuzzüge durch einen Wissenschaftler einer christlichen Universität, wie die "Zeit" es bereits versuchte.
So macht die Rezension von Matussek insofern meine Erwartungen greifbar, als sie sowohl die Möglichkeiten einer neuen Perspektive aufgreift als auch einige der Fehler Starks wiedergibt. Dem Fazit möchte ich dessen ungeachtet zustimmen.

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